Mittwoch, 26. November 2014

Mawil : Kinderland


Mawil hat mit "Kinderland" nicht nur einen wunderbaren Comic über das Erwachsenwerden mit all seinen Großartigkeiten und Tücken geschaffen, sondern auch einen Einblick in die letzten Tage der DDR.
Mirco Watzke ist ein Schisser, eine Petze und eine Brillenschlange. Das jedenfalls behaupten die älteren Mitschüler, die ihn auf dem Kieker haben und vor denen er regelmäßig flüchtet. Bis er Torsten trifft.
Mirco, der mit seinen Eltern und der Schwester in Ost-Berlin lebt, hat vor ziemlich vielen Dingen Angst, vor den älteren Mitschülern, die ihn regelmäßig verhauen wollen und das auch regelmäßig schaffen, vor schlechten Noten und vor allem davor, zu spät zur Schule zu kommen. Als der Bus mit dem er zur Schule fährt eines Morgens umgeleitet wird, sieht er sich seiner größten Angst ausgeliefert. Heulend steht er an der Bushaltestelle, als er Torsten das erste Mal auf Torsten trifft. Torsten ist neu, vorlaut und vor allem mutig. Er scheut nicht davor zurück, den Kindern auf dem Pausenhof das Telespiel zu klauen, droht ihnen in regelmäßigen Abständen mit Schlägen und frühstückt noch gemütlich wenn Mirco schon auf seinem Platz in der Schule sitzt und auf den Unterrichtsbeginn wartet.
Torsten und Mirco, die auf den ersten Blick nicht viel gemein haben, werden Freunde. Sie entdecken ihre Leidenschaft für Tischtennis. Doppel wollen sie spielen, gegen die Rüpel aus der höheren Klasse und ihnen zeigen, dass sie doch was draufhaben, dass sie doch keine Versager sind. Der Tag an dem das Turnier stattfinden soll, ist der Tag, an dem sich die Grenzen öffnen. Keiner außer Mirco und Torsten denkt mehr an das Turnier, alle sind mit der Weltgeschichte beschäftigt.
Mawil erzählt von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, von den zarten Bänden der Freundschaft und ganz nebenbei vom Ende eines sozialistischen Systems. Dabei mangelt es ihm nicht an Zynismus, die strenge Lehrerin, die die Schüler zur Systemtreue erziehen soll, liest heimlich den Spiegel.  Die Lieblingsschülerin eben jener Lehrerin und dazu Klassenbeste, die Verkörperung der Systemtreue, heißt Angela Werkel.
"Kinderland" ist ein absolut lesenswertes Buch. Das Erwachsenwerden endet nie, die Schwierigkeiten hören nie auf. Aber auch die Schönheit soll nicht untergehen: Bleibt doch Kinder!

"Kinderland" ist bei Reprodukt erschienen, hat 280 Seiten und kostet 29,00 Euro.

Sonntag, 23. November 2014

Lena Dunham : Not that kind of girl





Lena Dunham, die als neue feministische Stimme meiner Generation gefeiert wird, gibt Ratschläge, für die ich dankbar sein soll.
"Not that kind of girl" ist eine Sammlung von Essays, bei denen schon der Untertitel verrät, dass diese sich um all das drehen, was Lena Dunham im Leben so gelernt hat. Und auf den ersten Blick, sieht das nach ganz schön viel Lebensweisheit aus, schließlich wird die auf 304 Seiten ausgebreitet. Auf den zweiten Blick, wiederholen sich Erfahrungen und Ratschläge und lassen sich recht simpel zusammenfassen: Schlafe nicht mit den falschen Männern, Panikattacken sind unangenehm, sei du selbst!
Dass Lena Dunham die neue feministische Stimme ihrer Generation, also meiner Generation, ist und dass man als junge Frau ganz viel aus diesem Buch mitnimmt, wird einem jeden Tag um die Ohren gehauen. Ich liebe Lenas Serie "GIRLS" und ich liebe ihren Körper und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihn öffentlich präsentiert. In einer Zeit, in der man immer wieder zu hören bekommt, dass man am besten kein Gewicht im zweistelligen Bereich hat und möglichst wenig selber denkt, sollte man als Frau erfolgreich sein wollen, ist Lena Dunham eine erfrischende Abwechslung zum Mainstream.
Aber was nimmt man aus dem Buch mit, was lernt man? Dass man nicht mit einem Mann schlafen sollte, der einen nicht wertschätzt, dass man am besten keine ungesunde Diät macht, bei der man vollständig auf Kohlenhydrate verzichtet und dafür so viel Abführtee zu sich nimmt, dass man mit entzündetem Darm in der Notaufnahme sitzt und den Ärzten nicht sagen will, woher diese Entzündung rührt. Und falls man all das doch macht, dann mit dem Wissen darum und genug Selbstvertrauen um später darüber zu stehen, darüber lachen zu können und es als Erfahrung abzuschreiben oder all das in Essays zu erörtern, um andere vor den gleichen Fehlern zu bewahren.
 Irgendwie traurig, dass es für diese Erkenntnisse eine feministische Generationen-Sprecherin braucht. Dass viele dieses Buch als den Ratgeber des Bücherherbsts feiern, ist so erschütternd wie das Buch eigentlich nichtssagend ist. Vielleicht hilft es all den Mädchen, die sonst selten selbst denken und auf Abführtee setzen, alle anderen sollten die Zeit lieber verwenden um die drei Staffeln "GIRLS" zu schauen, die es bisher gibt.

"Not that kind of girl" ist bei S. Fischer erschienen, hat 304 Seiten und kostet 19,99 Euro.

Freitag, 21. November 2014

Petra Hartlieb : Meine wundervolle Buchhandlung




Dass es Menschen gibt, die mit ihrer Buchhandlung scheitern, lesen wir derzeit viel zu oft. Dass es auch Menschen gibt, die mit ihrer Buchhandlung Erfolg haben, lesen wir viel zu selten. Petra Hartlieb will das ändern.
Das ist alles gar nicht so geplant, das mit der Buchhandlung. Nebenbei und aus einer Schnapsidee heraus bieten die Hartliebs auf eine Buchhandlung in Wien, die ihnen dann gehört. Und nebenbei fällt ihnen dann auf, dass es vielleicht doch gar nicht die beste Idee war, schließlich wohnen sie doch in Hamburg. Er, ausgebildeter Buchhändler, tätig in einem großen deutschen Verlag. Sie, Literaturkritikerin. Beide in Hamburg lebend, mit der gemeinsamen Tochter und dem großen hippiesken Sohn.
Dann eben doch nach Wien, Sachen packen, bei Freunden wohnen, auf der Klappcouch schlafen, ein Kleinkind betreuen, eine Buchhandlung einrichten und das Gefühl, sich doch übernommen zu haben. Und am Ende: Doch alles gut! Jedenfalls bis zum ersten Weihnachtsgeschäft, dann wird vielleicht doch alles ein bisschen viel. Das mit der Buchhandlung und den Kunden, das mit dem Kind und dem Wohnungsumbau. Aber Ende Dezember dann: Doch alles gut!
Das Personal, das auf den ungewöhnlichsten Wegen gefunden wird, kann ganz hervorragende Eintöpfe und Aufläufe kochen, die es im Weihnachtsgeschäft in die Küche schafft und auch sonst können diese Menschen alles ganz hervorragend und ein bisschen besser als andere. Und vor allem: früher!  Als erste erkennt Petra Hartlieb, dass Amazon seine Mitarbeiter nicht mit Lasagne und Erbseneintopf durch das Weihnachtsgeschäft bringt und danach erst weiß es die ganze Branche.
Sie teilt sich mit bekannten Autoren das Taxi, trifft sie zum Abendessen, umarmt sie auf der Buchmesse und spaziert mit ihnen durch Wien. Nebenbei ist sie die antiautoritärste Mutter des Landes, man kann es ja nicht zu oft sagen und als der Sohn die Schule schmeißen will, fliegt sie nach Hamburg, trifft seine Freunde, besucht ihn in seiner WG und dann schmeißt er die Schule doch nicht, wird Lehrer. Also doch: Alles gut!
Das andere, das kleine Kind, das bei seiner Einschulung an "ein rumänisches Waisenkind" erinnert, ist streckenweise der sympathischste Charakter dieser Erfolgsgeschichte, was vielleicht daran liegt, dass seine Mutter es als an ein "rumänisches Waisenkind" erinnerndes Kind beschreibt. Über die nächsten zwanzig Seiten die Frage, ob einem wirklich das rumänische Waisenkind in den Kopf kommt, aber schließlich wird die Buchhandlung auch von vier Ausländern und zwei Österreichern umgebaut. Und während auf die Österreicher im weiteren Verlauf ganz verzichtet werden kann, ist doch ziemlich wichtig zu betonen, dass die Ausländer Yusuf, Ali, Dragan und Fasgavic heißen und genau so reden, wie man es von ihnen erwartet. Nämlich zum Beispiel so "Sagst du Chefin, wie breit da Tür?".
Man kann "Meine wundervolle Buchhandlung" lesen, an manchen Stellen zwei Augen zudrücken und sich immerhin darüber freuen, dass das ganze Unterfangen eine Buchhandlung zu betreiben glücken kann und dass es Menschen gibt, die darüber berichten. Dass nicht nur ihre Buchhandlung wundervoll ist, sondern offenbar auch Petra Hartlieb selbst, ihr Mann, die Kinder, ihre Mitarbeiter, all ihre Buchtipps, 90% ihrer Kunden und vor allem Petra Hartlieb selbst, kann man achselzuckend zur Kenntnis nehmen und versuchen, nicht weiter darüber nachzudenken oder das Buch genervt zuklappen. Macht man das nicht, liest man es als eine Hommage an den unabhängigen Buchhandel, den wir brauchen und der am Ende doch eines ist: gut!
 

"Meine wundervolle Buchhandlung" ist bei Dumont erschienen, hat 208 Seiten und kostet 18,00 Euro.